Magyar Könyvszemle   115. évf. 1999. 1.szám   Vissza a tartalomjegyzékhez

SZEMLE

Handbuch deutscher historischer Buchbestände in Europa. Herausgegeben von Bernhard Fabian. Band 5, Ungarn. Bearbeitet von Judit P. Vásárhelyi unter Mitarbeit von Katalin Rákóczi und Sándor Dörnyei. Hildesheim – Zürich – New York 1998, Olms-Weidmann, 290, 3 l.

Der Ertrag menschlicher Kultur setzt sich aus vielen Bestandteilen zusammen. Diese Bestanteile können nach der Typologie der jeweiligen Überlieferungsträger erfaßt und beschrieben werden. Handelt es sich um die Träger sprachlicher Kultur, bietet sich als adäquates Ordnungsprinzip in erster Linie die Sprache an. Diesem Prinzip schließt sich dann als zweites der regionale Gesichtspunkt an: Bestimmung der Regionen, wo man sich dieser Sprache zur gegebenen Zeit bedient hatte.

Diesem sprachlich-territorialen Konnex nach enstand das Konzept jener „einmaligen kulturwissenschaftlichen Dokumentation” (Züricher Zeitung, 12. 9. 96), die sich „Handbuch der historischen Buchbestände” nennt. Das von der Volkswagen-Stiftung geförderte Handbuch erscheint seit 1992 und wird auf 40 Bände geplant, welche sich auf drei Abteilungen verteilen. Die 23 Bände der ersten Abteilung, die kurz vor dem Abschluß steht, beschreibt die Bestände in Deutschland, die zweite Abteilung efaßt in 4 Bänden die österreichischen Sammlungen. Als erster Band der dritten Abteilung, die den Bibliotheken der nicht-deutschsprachigen Länder Europas gewidmet ist, erschien der Ungarn-Band, der am 26. Oktober 1998 im Rahmen eines workshop im Collegium Budapest präsentiert wurde. Diese Gesamtkonzeption der Reihe ist jedoch der Titelei des Bandes nicht zu entnehmen, nur das Vorwort gibt darüber Auskunft.

Der Band, wie alle späteren Bände dieser Reihe, berücksichtigt die Bestände im gegebenen Land, in diesem Fall in Ungarn, die als Druckort solche Städte aufweisen, die im deutschsprachigen Raum Europas liegen (z. B. Berlin, München oder Zürich). Die Sprache der Veröffentlichung spielt dabei keine Rolle. Für ein zweites, allgemeines Auswahlprinzip gilt dann die deutsche Sprache des Druckes, sollte er bei einem Verlag im Helsinki oder in Zagreb erschienen zu haben. Unter „historischen Beständen” versteht die Redaktion diejenigen gedruckten Informationsträger (auch Graphik und Atlanten), die vor oder im Jahre 1900 erschienen sind.

Jedem Band, der den Beständen eines Landes oder eines Länderteiles (z. B. eines Bundeslandes in Deutschland) gewidmet ist, wurde eine Zusammenfassung über die Buchkultur und Bibliotheksgeschichte dieser territorialen Einheit vorangestellt. Ein so bündiger und informativer Aufriß ungarischer Bibliotheksgeschichte, wie ihn Judit P. Vásárhelyi im vorliegenden Band geschrieben hat, erschien in einer Fremdsprache noch kaum. Der besondere Wert dieses Beitrags ist, daß er auch das gesamte kulturgeschichtliche Umfeld des ungarischen Buchwesens skizziert.

Im Band werden Bestände von 33 ungarischer Bibliotheken, 14 davon in Budapest, beschrieben. Aufgenommen wurden die Bibliotheken, von denen die Herausgeber angenommen haben, daß sie besonders viele und wertvolle Dokumente besitzen, die den oben skizzierten Germanica-Kategorien entsprechen. Die [141 hier gebotene Erschließung der Bestände ist kein Teilkatalog, kein Titelverzeichnis. Es werden eher Hintergrundinformationen über die Entstehung der Sammlung, über erworbene Nachlässe, über Präferenzen der Erwerbungspolitik sowie über Verluste besonders während des Zweiten Weltkriegs und in den ersten Nachkriegsjahren gegeben, d. h. Indizien genannt, die die quantitativen und/oder qualitativen Merkmale der in der Sammlung liegenden Germanica-Dokumente signalisieren können. Einige hervorragende Stücke, Inkunabeln, Rara, inhaltlich wichtige Drucke werden jedoch oft genannt; dies war auch Absicht der Reihenredaktion. Die Verfasser dieser Beiträge waren daher Mitarbeiter der jeweiligen Bibliotheken bzw. der Sondersammlungen wissenschaftlicher Großbibliotheken, welche Sondersammlungen auch einzeln behandelt wurden. Dank den Fachkenntnissen der Mitarbeiter ist der Informationswert dieser Beiträge zumeist sehr hoch.

Einige u. E. wichtige Mitteilungen fehlen jedoch bei manchen Bibliotheken. In der Bestandsbeschreibung der Széchényi-Nationalbibliothek wird die Erwerbung der besonders reichhaltigen Privatsammlung des gelehrten Bibliophilen Miklós Jankovich natürlich erwähnt. Dadurch gewann die Nationalbibliothek nach der auf Hungarica ausgerichtete Sammlung der Grafen Ferenc Széchényi einen zweiten, in Hinsicht der internationalen Wissenschaftsgeschichte sehr bedeutenden Grundstock. Aus deutscher Sicht wäre besonders erwähnenswert gewesen, daß Jankovich durch seine Agenten bedeutende Teile der in Nürnberg versteigerten Ebner-Eschenbach’schen Sammlung und der Regensburger Bibliotheca Reisachiana erworben hat. Deshalb konnten etwa Unikate aus Nürnberger Druckereien in Budapest verifiziert werden. Sammelbände der Jankovich-Sammlung, die manchmal mehrere Dutzende von Kleindrucken enthalten, waren noch in der jüngsten Vergangenheit einzeln nicht erschlossen. Ein Fingerzeig für Norica-Forscher.

In der Zusammenfassung der Bestandsgeschichte der Bibliothek der Erzdiözese Eger/Erlau wird die in internationaler Hinsicht bedeutende Sammeltätigkeit des Bischofts Károly Esterházy hervorgehoben. Mit der Hilfe von Giuseppe Garampi, Nuntius des Heiligen Stuhls in Wien, der übrigens auch bei dem Aufbau der Bibliothek von György Klimó in Pécs/Fünfkirchen behilflich war, erwarb Esterházy bedeutende Bestandteile der Fürst-Auersperg’schen Sammlung in Österreich und der Privatbibliothek des Leipziger Philologen und Theologen Johann August Ernesti (1707–1781), der eine ganze Reihe kritischer Editionen von griechischen und lateinischen, kirchlichen und weltlichen Autoren besorgt hat. Diese Hinweise wären wohl nicht überflüßig gewesen.

Da eine so verdienstvolle und reichhaltige Enzyklopädie ungarischer Bibliotheksbestände vielleicht nie wieder in einer westlichen Sprache erscheinen wird, hätte man vielleicht die Auswahl der Sammlungen weitherziger treffen können, umso mehr, da historische Büchersammlungen in Ungarn der deutschen Forschung bereits früher, zwar unter anderen Aspekten, präsentiert wurden. E. Travnik hat in seinen Aufsätzen „Zur Entstehung der kirchlichen Bibliotheken Ungarns im 18. Jahrhundert” (Deutsch-Ungarische Heinmatblätter, 1934) manche wichtige Sammlungen behandelt, auf die auch moderne, spezielle Bestandserschließungen die internationale Forschung aufmerksam gemacht haben (G. Sajó – E. Soltész: Catalogus incunabulorum quae in bibliothecis publicis Hungariae asservuntur. Bp. 1970, oder A. Vizkelety: Beschreibendes Verzeichnis altdeutscher Handschriften in ungarischen Bibliotheken. 2 Bde. Bp. – Wiesbaden 1969, 1973), die jedoch in den vorliegenden Band nicht aufgenommen wurden. Als Ergänzung möchte ich hier besonders zwei Diözesanbibliotheken erwähnen, die in Gyõr/Raab und die in Szombathely/Steinamanger. Bereits ihre geographische Lage, unweit von der österreichischen Grenze, deutet an, daß hier bedeutende Germanica-Bestände liegen könnten. Die Geschichte dieser Bibliotheken überzeugt uns davon. 1821 überließ der Raaber Domherr, ehemaliger Jesuitenpater [142 Sándor Balogh seine etwa 6000 Band starke Sammlung der Diözese, die er durch seine Beauftragten in Preßburg und in Wien erwerben ließ. Viele Stücke kaufte er etwa aus dem Nachlaß des 1648 verstorbenen Vizekanzlers der Wiener Universität, Johann August Zwerger, aber auch andere österreichische Vorbesitzer, unter ihnen fünf Wiener Domherren, können in den Bänden der Balogh-Sammlung namhaft gemacht werden. Gewiß eine reichhaltige Beute an Germanica.

Der erste Bischof von Szombathely, János Szily schenkte 1791 seine Bibliothek, die er unter der Mitwirkung von István Schönvisner, Kustos der Pester Universitätbibliothek und von Anton Kurcz, seinem Wiener Vertrauensmann, zusammengestellt hatte, der bischöflichen Katedrale. Den Grundstock seiner Sammlung bildeten die Bestände der von Josef II. aufgelösten Augustiner-Probstei in Pöllau. Die Bibliothek des zweiten Bischofs von Szombathely, des gebürtigen Prager Grafen Franz Herzan, wird noch heute als eine Sondersammlung in der Diözesanbibliothek aufbewahrt. Nur die letzten vier Jahre seines Lebens verbrachte Herzan in Szombathely, sonst war er in Österreich und in Italien als diplomatischer Beauftragte der Kaiserin Maria Theresia und ihrer Nachfolger tätig. Seine Bücher erwarb er zumeist im Ausland.

Außer der fundierten Bestandanalysen liegt der besondere Wert des Bandes in seiner praktischen Ausrichtung. Das ganze „Handbuch historischer Buchbestände” versteht sich als ein neuartiges Instrument für die wissenschaftliche Arbeit. Es werden sowohl die ersten nötigen Angaben zur Kontaktaufnahme mit der jeweiligen Bibliothek (Postanschrift und elektronische Verbindungen) als auch die gedruckten und die in der Institution vorliegenden Kataloge und sonstige Hilfsmittel der bearbeiteten Bestandteile genannt. Die abschließende Bibliographie verzeichnet die Titel, die zu einer weiteren Orientierung in der Geschichte und Zusammensetzung der Sammlungen verhelfen. Das Buch wird bestimmt seine Mission erfüllen.

Vizkelety András